Meine Tochter Nina wurde in der 26. Schwangerschaftswoche geboren. Das kleine Bündel Leben war gerade mal 870 Gramm schwer und hatte nach einem Notfallkaiserschnitt einen überstürzen Start ins Leben. Nina ist mein drittes Kind und ihre Geburt riss mich aus dem jahrelangen wohligen Gefühl, dass alles gut geht und ich dem Lauf der Natur vertrauen darf.
Die drei Monate, die ich mit Nina in der Neonatologie am Unispital Zürich erlebte, waren sicher die intensivsten meines Lebens. Sie waren geprägt von Sorge, Unsicherheit und manchmal Verzweiflung. Aber es gab auch so viel Schönes: die Gespräche mit aussergewöhnlich lieben Pflegefachfrauen, das tägliche Eintauchen in eine kleine stille Welt, das Kanguruuen, die Zweisamkeit mit meinem Baby, der Körperkontakt, die kleinen Momente, die fast schon etwas Meditatives und Spirituelles hatten. Eine Insel von Menschlichkeit und Wäme - und das alles inmitten einer hoch technologisierten Welt der Spitzenmedizin mit piepsenden Apparaturen. Mein Mann und ich sind bis heute erfüllt von Dankbarkeit, dass wir in einem Land leben, das uns diese Hilfe und Möglichkeit geboten hat. Unter anderen Umständen hätte Nina wohl kaum Überlebenschancen gehabt. Und auch Jahre und Jahrzehnte vorher war es selbst in der Schweiz noch nicht möglich, so kleine Frühchen wie unsere Tochter am Leben zu erhalten. In den 18 Jahren, die seit unserer Neo-Zeit vergangen sind, hat die Neugeborenen-Medizin weitere immense Fortschritte gemacht. Dank stetiger wissenschaftlicher Arbeit und Forschung.
Wir hatten Glück mit Ninas Gesundheitsverlauf. Sie musste nicht lange intubiert werden und es gab keine schwerwiegenden Komplikationen. Trotzdem war es über die Monate ein Auf und Ab. Ich besuchte sie täglich zwei Mal. Die eingeschränkten Besuchszeiten damals machten es nicht ganz einfach. Ich musste mittags nach Hause, weil meine grösseren Kinder Gian und Lili zum Essen aus dem Chindsgi und der Schule kamen. Nachmittags fuhr ich wieder ins Spital zurück und verbrachte Zeit mit Nina. Manchmal übernahm das auch mein Mann, der damals aber beruflich sehr stark eingespannt war und zuhause die Stellung halten musste. Wenn ich morgens in der Neo ankam, erfuhr ich, wie es Nina ging. Manchmal ging es einen Schritt vorwärts, dann wieder zwei Schritte rückwärts. Das war frustrierend. Aber ich fühlte mich in jedem Moment getragen und unterstützt von den engagierten, liebevollen und professionellen Pflegenden und dem für uns zuständigen Arzt Prof. Hans Ulrich Bucher.
Es war damals eng in der Neonatologie am Unispital. Wir Mamis und Papis lagen auf unseren Stühlen eingequetscht zwischen den Inkubatoren mit unseren Babys auf der Brust. Gerade mal so wie es die Platzverhältnisse erlaubten. Die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal waren eine Herausforderung. Dass inzwischen vieles anders geworden ist, sah ich Jahre später bei meinem Besuch auf der Neonatologie. Nach dem Umzug in grössere Räumlichkeiten ist heute mehr Platz da und Raum für Privatsphäre. Viele andere Dinge haben sich seit 2006 und meiner Zeit auf der Neo verändert. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich erschöpft um die Möglichkeit bat, dass auch eine meiner Schwestern oder meine Mama ab und zu einen Kängurdienst machen dürften. Das Programm meiner sechs und acht Jahre alten Kinder lief ja weiter und ich hatte viel zu wenig Zeit für sie. Es wurde leider nicht erlaubt. Heute dürfen sich zum Glück mehr enge Bezugspersonen um die Frühchen kümmern.
Gewährt wurde mir hingegen der einmalige Besuch einer Freundin, die als Kinesiologin arbeitet. Sie ist Mutter von fünf Kindern und hatte selbst eine Frühgeburt erlebt. Sie bot mir an, Nina zu behandeln. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die Stimmgabeln, die sie zum Klingen brachte und über Ninas kleinem Körper schwenkte. Das wurde damals auf der Neo von einigen als Hokuspokus angesehen. Aber es war beeindruckend zu sehen, wie die Kleine darauf reagierte, wie ruhig sie wurde und sich ihre Sauerstoffsättigung schnurstracks besserte. Dasselbe stellte ich fest, wenn ich beim Känguruuen für Nina leise sang und summte. Das machte ich stundenlang und hatte das Gefühl, dass durch die Vibration und die Töne eine besondere Stimulierung stattfand, die Nina guttat. Inzwischen kann man in Studien die positive Wirkung von kreativer Musiktherapie auf die Gehirnentwicklung aufzeigen. Und längst zählt die Neonatologie am Unispital Zürich auf das Knowhow der Musiktherapeutin Friederike Haslbeck. Sie behandelt die Neugeborenen (unter anderem mit den Stimmgabeln!) und ermuntert Mamas und Papas, für ihre Kinder zu singen.
Medizinischer und technologischer Fortschritt und neue Erkenntnisse in der Pflege verbessern die Arbeit der Neonatologie stetig. Ich wünsche allen betroffenen Eltern heute und in der Zukunft, dass auch ihre Neo-Geschichte ein Happy-End findet. Ich danke im Namen meiner ganzen Familie dem Neo-Team, das so sehr dazu beigetragen hat, dass Nina sich wunderbar entwickeln konnte. Sie wurde mit 870 Gramm geboren und ging mit 3420 Gramm nach Hause. Das sind 2550 Gramm positive Energie, Liebe, Ansporn und Fürsorge, die sie von allen Betreuenden bekommen hat. Und die sie durch ihr bisheriges Leben begleitet haben. Unsere Tochter ist heute 18 Jahre alt und ist zu einer gesunden, starken jungen Frau herangewachsen.